Einführung: Dienstag, 19. Februar 2019, 10:00 Uhr, HIL D 15
Rathäuser sind in den meisten Städten der Stolz der Bürgerschaft. Sie sind Ausdruck des Selbstverständnisses und der Tradition des Gemeinwesens. An vielen historischen Rathäusern lassen sich Entwicklung, Bedeutung und Wohlstand einer Stadt ablesen. Ein Rathaus soll aber auch Einfluss und Selbstbehauptungswillen einer Stadt wiederspiegeln, sowie den Wert, den man der kommunalen Selbstverwaltung, der Mitbestimmung der Bürger und der direkten Demokratie beimisst.
Viele Bürger und Bürgerinnen der Stadt und des Kantons Zürich kennen das Rathaus nicht und haben den Parlamentssaal noch nie besucht. Im Zusammenhang mit der Projektierung der neuen Gemüsebrücke soll das Rathaus umfassend saniert werden. Dabei werden Kantons- und Gemeinderat in ein Provisorium umziehen.
Wir nehmen dies zum Anlass, um über die Bedeutung des Rathauses als Ort der legislativen Entscheidungsfindung in unserer heutigen Demokratie nachzudenken. Wie sieht ein zeitgenössisches Gebäude aus, in dem das Parlament als Vertretung der Bevölkerung und als politisches Entscheidungsgremium tagt, ein Gebäude das allgemein bekannt ist und mit dem sich die Bevölkerung identifiziert? Das jetzige Rathaus aus dem Mittelalter stellt eine seltsame Mischung aus zwinglianischer Bescheidenheit und gleichzeitigem Repräsentationsbedürfnis dar. Es steht unter Denkmalschutz und kann den neuen Bedürfnissen einer politischen Öffentlichkeit nur sehr beschränkt genügen.
Das Bundeshaus, das britische Unterhaus, das Assemblée nationale, der Deutsche Bundestag sind Orte, die wegen ihren intensiven politischen Debatten im Zentrum des nationalen Interesses stehen.
Unser Ratssaal soll ein Raum sein, der in seinen Proportionen, seiner Form, Lichtführung, Materialisierung und Farbe aussergewöhnlich ist und mit zeitgenössischer Ornamentik etwas über die Bevölkerung erzählt. Er kann als wichtigster Raum des Gebäudes z.B. nach aussen hin in der Silhouette erkennbar sein, ähnlich dem Ratssaal des Palazzo della Ragione in Vicenza von Andrea Palladio.
Ebenso wichtig sind die Inszenierungen des Ein- und Aufgangs und die Gestaltung des Foyers, wo sich Ratsmitglieder mit Presse und Besuchern treffen und austauschen, sowie die öffentlichen Nutzungen wie z.B. ein Bürgerforum, eine Ausstellung über Stadt und Kanton, oder ein Café.
Ein Platz für spontane Demonstrationen soll das Gebäude in seiner Umgebung und in der politischen Gesellschaft verorten.
Die persönliche politische Haltung jedes Entwerfers und jeder Entwerferin beeinflusst den Entwurf massgebend. Schon die freie Wahl des Standortes, wird viel über die Rolle des Rathauses in der Gesellschaft und sein Verhältnis zur Stadt aussagen. Anhand von Skizzen, Plänen, Arbeitsmodellen und Modellfotos werden die Semesterentwürfe für ein neues Rathaus in Einzelarbeit erarbeitet und individuell begleitet.
Als Einstieg werden in 3er Gruppen ausgewählte Rathäuser analysiert und die Resultate in einer Ausstellung während des Entwurfsprozesses präsent sein. Zudem soll sich jede Gruppe über den Ausdruck, die Struktur und den politischen Hintergrund des Rathauses bewusst werden, sowie mögliche Raum-, Licht-, Materialstimmungen recherchieren. Die Sammlung von Bildern, Film-, Musik- und Textausschnitten wird in einem zweiten Teil zu einem visuellen Statement zusammengeschnitten und soll die Entwurfshaltung veranschaulichen und schärfen.
Vertreter der parlamentarischen Dienste werden uns die Vorbereitungen der politischen Geschäfte in den Kommissionen und die Abläufe der Diskussionen und Abstimmungen im Parlament erklären. Wir werden einer Ratsdebatte im Rathaus beiwohnen und Parlamentarier verschiedener Parteien treffen.
An den Schlusskritiken werden die Projekte von Gästen und dem Lehrstuhl von der Konzeptidee, der Umsetzung der politischen Haltung, der städtebaulicher Präsenz bis hin zur Atmosphäre des Ratsaals und Foyers, sowie deren Räumlichkeit und Materialisierung besprochen.
Fakultativ wird eine Vertiefung der Konstruktion als integrierte Disziplin angeboten.
LV Nr. 052-1118-19, Entwurf zunächst in Gruppen-, später in Einzelarbeit mit integrierter Disziplin Konstruktion.
Tischbesprechungen dienstags/mittwochs
3 Zwischenkritiken, Schlusskritik.
Assistenz: Regula Zwicky, Moritz Holenstein, Kathrin Sindelar